Kurzgeschichten

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Im Supermarkt

Wieder einmal stehe ich in einer ewig langen Supermarktkassenschlange. Meine Lieblings-Tiefkühl-Pizza war im Angebot gewesen und sollte mich durch den sonst ereignislosen Abend bringen. Salami war jedoch schon ausverkauft und meine Laune befindet sich entsprechend knapp oberhalb des absoluten Tiefpunktes. Seit zehn Minuten stehe ich in der Schlange. Ein Kassenbon nach dem nächsten wird gedruckt. Eine Stimme nach der nächsten schimpft: „Brauch ich nicht!“

Ich warte, zeige mich äußerlich geduldig. Innerlich gehe ich langsam auf dem Zahnfleisch. Ich habe zwar eh nichts wirklich Besseres vor, längere Aufenthalte im Lebensmittelfachmarkt versuche ich im Sinne meiner Gesundheit dennoch zu vermeiden: die aufdringlichen Werbe-Jingles sorgen bei mir für unkontrollierbare allergische Reaktionen. 


Das Personal an den Bezahltischen wird anscheinend nicht - wie im Billig-Discounter - nach der Anzahl ihrer Kassiervorgänge entlohnt. Anders lässt sich die Ruhe und Gelassenheit der Personen, die da Lebensmittel über den Barcode-Leser ziehen, nicht erklären. Gut für sie, jedoch noch schlechter für meine Laune. Alleine die Tatsache, heute ausnahmsweise keine Salami sondern eine vegetarische Pizza essen zu müssen,hatte mich aus dem Konzept gebracht. Und jetzt auch noch das: WARTEN. 

Ich hole tief Luft: Übelkeit kommt in mir auf. Ich hasse den Supermarkt. Deswegen schalte ich meinen Körper auf Autopilot und lasse meinen Geist schweifen. Das Bild vor meinen Augen verschwimmt für einen Moment, dann stellt es sich von ganz alleine wieder scharf:

Ganz vorne in meiner Reihe zählt gerade eine offensichtlich stark kurzsichtige alte Dame die letzten Groschen ihrer Rente zusammen. Sie versucht damit ihre Monatsration Blechbüchsen-Nahrung, einen Liter Kaffeesahne, ein extradickes Rätsel-Magazin und ihre Wurst zu bezahlen. Immer wieder kneift sie für einen Atemzug musternd die grau melierten Augen zusammen, hält inne, blickt hoffnungsvoll den Kassierer an, und fragt: „Sind das hier fünf Pfennige?“ Sie stützt dabei ihre Unterarme leicht auf die Ablage des Kassenbandes, fixiert krampfhaft mit beiden Glupschern das Geldstück zwischen ihren kurzen Fingerchen und wiederholt den Satz gefühlte zwanzig Mal. Sie wirkt ein wenig hilflos unter ihrem Hut, hinter dem dicken Schal und in dem warmen Wintermantel: Die Frühlingssonne, die draußen mittlerweile regelmäßig scheint, erreichte ihren gealterten Körper wohl noch nicht. Noch einmal hole ich tief Luft. Die Übelkeit kehrt zurück, ich schüttele sie schnell ab.

Hinter der liebenswürdigen Dame steht eine reizlos überschminkte Mittfünfzigerin im bunten Kostüm, verschieden- farbige Affen tummeln sich auf ihrem Körper. Das verschminkte Gesicht beäugt das Schauspiel vor sich zunehmend ungeduldig. Nahezu unauffällig scharrt sie mit dem rechten Fuß. Es wirkt, als wolle sie sogleich losstürmen wie ein Stier, um die lästige Oma inklusive ihres Groschenbeutels gewaltsam aus den Stützstrümpfen zu stoßen. Der Jungspund, der sich just in diesem Moment ganz hinten in der Nachbarreihe an die Kasse stellt, rümpft missmutig die Nase: Das schwere Parfüm der bunten Frau scheint hartnäckig über die Luft bis in seine Nüstern vorzudringen. Auch in meiner Nase legt sich ein unangenehmes Geruchsgemisch auf die Chemorezeptoren: Ich schwanke kurz in Richtung Kaugummi-Regal, fange den Schwung aber gekonnt kurz vor einem drohenden Zusammenstoß auf.

Hinter dem Kostüm legt Adolf Hitler gerade eines seiner »Landser-Hefte« auf das langsam wandernde Kassenband. Seine feine Uniform muss sich gerade in der Reinigung befinden: Er trägt ausgeblichene Wüstenfarben (Stangenware), unspektakulär. Zudem ist seine Haarfrisur auffällig stark ergraut. Den Schnurbart hat er sich – womöglich um nicht weiter aufzufallen – vorsorglich abrasiert. Noch bevor er seine Wehrmachtsverpflegung auf das Band an der von mir anvisierten Kasse legte, stand er bereits kurzweilig an Kasse 3. Als er jedoch bemerkte, dass die Kassiererin dort ein Kopftuch trägt, flüchtete er sich zur deutschen Nachbarkasse.

Vor mir steht, wie immer eigentlich, ein Stinker. Entweder verlässt er sich darauf, dass im Supermarkt stets überparfümierte Menschen zwischen den Lebensmitteln herumlaufen und er seinen Mief in deren penetrantem Duft versenken kann, oder er hatte in den letzten drei Wochen einfach keine Zeit gehabt, um sich zu waschen. 
Ich halte trotzdem Abstand, weil ich seine dennoch ausgestoßenen Dunstpartikel nicht intensiver abbekommen will. So gerate ich fast in den Streit, den das junge Pärchen hinter mir gerade austrägt. 

Selbst ich konnte hören, dass sie ihm fünf Minuten zuvor lautstark und in einer Tonlage, die mich stark an das Geräusch einer mittelgroßen Kreissäge erinnerte, über den aktuellen Heilungsprozess der Hämorriden ihrer Mutter Paula aufgeklärt hatte. Er rückt seinen Bayern-Schal liebevoll zurecht und leugnet standhaft, dass dieses Gespräch je stattgefunden hat. Immer schon war ich mir klar darüber, dass unser Gehirn uns vor größerem geistigen Schaden zu bewahren versucht. Selbst das Denkorgan dieses Fußballfanatikers genügt hinreichend zum Beweis. Er will doch ganz eindeutig zu Recht nichts von den haarigen Auswüchsen seiner Schwiegermutter wissen.

Die Oma hat mittlerweile ihr Portemonnaie an den – zwar nicht gerade schnellen, aber wenigstens hilfsbereiten – Kassierer übergeben und gestattet ihm, den zu zahlenden Betrag zusammen zu suchen. Nach einem weiteren „Brauch ich nicht“ sucht nun die Mittfünfzigerin ihr Glück beim Bezahlen. Ich mache einen Schritt nach vorne, näher Richtung Ausgang. Mir ist, also ob ein angenehm kühler Luftzug meinen schwitzigen Hals umfliegt. Ich lasse den willkommenen Sauerstoff hinein.

Dann schaue ich auf das stockende Band neben mir. Die Flasche Wein, die ich als Ersatz für meine Lieblingspizza zusammen mit der danebenliegenden Tiefkühl-Lasagne später in mich hineinschütten wollte, rechtfertigt zunehmend weniger einen längeren Verbleib in dieser Terrorschlange. Ich zwinge mir ein harmloses Lächeln auf, klopfe erst dem Stinker, dann Hitler, dann dem Affentheater auf die Schulter, sage wiederholt freundlich „Darf ich bitte“, und verlasse unverrichteter Dinge den Markt.

Draußen angekommen zücke ich mein Handy, wähle die Nummer von Luigi und ordere großzügig erstklassig italienische Küche, bis mir ein kostenloser Pinot grigio zusteht. Ich setze mich in mein Auto und fahre nach Hause, kurz danach klingelt es auch schon an der Tür.

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